Es ist schon eigenartig. Sein Leben lang denkt man, man geht an seine Grenzen. Das Gymnasium war eine neue Welt, die erste Zeit strengte man sich besonders an, um bei den Lehrern einen guten Eindruck zu hinterlassen, zu zeigen, dass man nicht von irgendeiner Dorfschule kommt. Dann kommt die Abizeit und man hängt sich noch Mal richtig rein bis zu den Prüfungen. Man denkt, mehr kann nicht kommen. Dann kommen einzelne Uni-Klausuren für die man mehr lernt als in einem Jahr Schule. Dann kommt man an die Akademie und man lernt in einer Woche mehr Koreanisch als in 2 Jahren Studium an der FU.
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Und man merkt, wie man selbst mit den Aufgaben wächst und sich bewusst wird, dass auch die derzeitige Stufe nur ein Zwischenstadium ist. Bald kommt der Master auf Koreanisch, wo es keine Extraregelungen mehr für Ausländer gibt, sondern ich Klausuren auf Koreanisch bestehen muss. Vom Berufsleben ganz zu schweigen oder einer bevorstehenden Doktorarbeit.
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Und trotzdem denkt man immer man hat das schwerste Los gezogen. Heute um kurz vor 9 aus dem Haus, dies und das erledigt, um 1 die Immatrikulationsfeier, dann wieder Unterricht, dann meinte die KTO sie ginge ohne mich unter, aber ich wollte eine Freundin treffen, die ich seit 20 Monaten nicht mehr gesehen hatte, wofür ich mich dann auch entschied. Und dann geht es halt um 10 weiter mit Arbeiten und irgendwann taumelt man um kurz vor 2 nach Hause und schreibt noch an seinem Blog und liest die ersten Seiten der Novelle, die man bis nächste Woche vorstellen muss.
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Und wenn man dann so durch das nachts halb verwaiste Samseong, hier im Zentrum einer der führenden Wirtschaftsmächte der Welt schlendert, bemerkt man, dass auch um 2 Uhr noch die Lichter brennen in den Firmenzentralen und Menschen aufgeregt mit gelockertem Schlips umherrennen. Man sieht die Müllmänner, die die kleinen dreckigen Tonnen von den Restaurants abholen. Man sieht die alten Frauen, die die Pappkartons aufsammeln, um sich damit ihre Rente aufzubessern, wobei aufbessern heißt, dass man sich mal ein saftiges Stück Rindfleisch gönnt.
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Dann kommt einem wieder das Zitat aus einem kleinen Büchlein über den Buddhismus in den Sinn: "Wir sind alle von Geburt an sehr glückliche Menschen und bleiben es unser Leben lang, wir wissen es nur nicht, weil wir zu beschäftigt sind damit unser Unglück zu füttern und zu streicheln."
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Und man merkt wieder wie glücklich man sich schätzen kann, auch wenn man sich nicht viel leisten kann, doch schon zu den 1% materiell bestgestellten Menschen der Welt zu gehören, mit der besten Bildung ausgestattet zu werden, fürs Lernen bezahlt zu werden, in einer kleinen, aber doch sicheren und komfortablen Unterkunft wohnen zu können, den Luxus zu haben, sich zu entscheiden, ob man heute sein Abendessen aus anderweitigen Überlegungen ausfallen lässt; purer Luxus, den 60% der Menschheit nie kennenlernen wird.
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Ab jetzt also kein Gejammer mehr über den Arbeitsaufwand in der Akademie. Ich werde gehegt und gepflegt, ich werde gefordert und gefördert wie nie und ich werde dieses eine Jahr mit einer Ausbildung abschließen, die in dieser Vielfalt und Qualität nur wenigen vorbehalten ist. Und keiner zwingt mich dazu; es ist mein eigener Wille von dieser Quelle so viel abzuschöpfen wie möglich.
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Und wem Buddhismus gleich wieder zu weit gegriffen war, der darf sich zum Abschluss jetzt "hier" noch sein liebstes Goethe-Zitat einsetzen, um dem ganzen Weltschmerz-Artikel die nötigen Weihen zu verleihen.
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