31.10.08

Ein paar wilde Gedanken zu Jeju

Anstatt jeden der geschätzten 40 Programmpunkte unserer "Geschäfts"reise nachzuerzählen, werfe ich einfach Mal ein paar der Hauptgedanken auf den weißen Hintergrund des Blogs. Die touristischen Details sind dann in der Galerie unter den Bildern zu finden.
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Das erste, was mich an Jeju gefreut hat als sich der Flieger über die Felder senkte und direkt an der Küste auf die "Autonome Provinz Jeju" aufsetzt: Die Erschließung und Entwicklung der Insel hat riesige Fortschritte gemacht, sie hat aber immer noch nicht diesen absoluten Touristencharakter. Die Hauptstadt selbst wird zwar immer überfüllter, aber sobald man rauskommt, ist man wieder in der Wildnis. Sicher, im Jungmun-Resort hört man lauter Chinesisch und Japanisch, es gibt eine Menge Touristen und Touristenbusse, aber was ich meine, bezieht sich eher auf die Stimmung. Es gibt auf dem Großteil der Insel weiterhin ein ruhiges Landwirtschaftsleben mit kleinen Dorfgemeinschaften, absolut entspannten Leuten. Ich habe kein einziges Mal eine Hupe gehört oder ein Überholmanöver auf der Straße gesehen.
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Die Entdeckung der Reise war aber wohl das Hochland im Osten der Insel, zu dem wir 2002 nicht mehr gekommen waren. Wieder ein vollkommen anderes Feeling, denn hier ist wirklich teils noch Wildnis. Kleine Sümpfe und Teiche, Nadelwälder und hügeliges Land lassen einen an Skandinavien denken - nur das Wetter ist besser.
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Was mich aber besonders faszinierte, war ein nur scheinbarer Widerspruch: Wenn man an Korea denkt, dann sieht man es als konfuzianisches Land, vielleicht noch als buddhistisches Land, aber was die Jahrtausende wirklich überdauert hat, daran denken die wenigsten:
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Schamanismus, Naturreligion, einfacher "Aberglaube". Und hier, wo Korea angeblich am unkoreanischten ist, hier ist dieses wirklich traditionell koreanische Gedankengut am lebendigsten.
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Quasi an jeder Straße, in jedem Dorf gibt es schamanistische Altäre, kleine Schreine und natürlich die obligatorischen Steingroßväter. Zum ersten Mal verstand ich hier, warum ausgerechnet auf Jeju diese Figuren aufgestellt wurden:
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Auf Jeju gab es immer zu viele Frauen, zu viel weibliche Yin-Energie, um es geisteswissenschaftlicher auszudrücken - und durch diese Statuen versuchte man Orte, die besonders männerarm sind, mit männlicher Energie auszustatten. Aber neben diesen offensichtlichen Spezifikas Jejus erschließen sich dem Kundigen bzw. dem durch eine Einheimische mit dem richtigen Blick versorgten Besucher unglaublich einnehmende Glaubensvorstellungen, die aus jedem einzelnen Stein der Insel zu atmen scheinen.
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5 große Felsen mit Muscheln drumherum? Ein Zufall? Nein, ein Altar von Meerestaucherinnen, um für sichere Rückkehr zu beten. Und ja, die Meerestaucherinnen (Haenyeo) sind sehr wohl noch real, sie bekommen langsam, sehr langsam Nachwuchs und endlich echte Förderung für den Lebensunterhalt. Ein tolles neues Museum, viele Restaurants und Herbergen, die von Haenyeos betrieben werden und Meeresfrüchte-Direktverkäufe zeugen davon. Sicher, es werden nie wieder 3000 Frauen werden und das Durchschnittsalter liegt bei 63 Jahren, aber die "guckt es an, bevor sie alle ausgestorben sind"-Marketingtricks sollte man wirklich nicht allzu ernst nehmen.
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Sie sind aber wirklich etwas Bewahrenswertes: Das Gefühl von einer 93-jährigen einen Tintenfisch gefangen zu bekommen, der sich dann unter ihrem Lachen in der eigenen Hand verfängt und nicht mehr loslässt - das ist der Charme Jejus und wirklich unvergesslich.
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Eine neue Geschäftsidee ist mir auch noch gekommen: Über die Insel verteilt gibt ab und zu ältere Damen, die Kokosnüsse verkaufen. Für mich unglaublich lecker, eine frische Kokosnuss zu verspeisen, fanden alle koreanischen Begleiter den Gedanken, eine Kokosnuss zu essen eklig und spuckten dann den ersten Bissen auch gleich wieder aus. Versteh einer die Koreaner!
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Jedenfalls will ich jetzt alle Kokosnüsse Jejus exportieren und somit die Wirtschaft Jejus und natürlich meine eigene unterstützen. Grins.
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Etwas diskutierenswertes gab es dann auch noch: Irgendwie scheinen die Leute auf Jeju alles lebend in den Topf zu werfen: Seien es Abalonen, seien es Tintenfische, alles kommt in die brutzelnde Suppe. Erklärt wurde das damit, dass man traditionell so wenig Zeit hatte, dass man nicht lange warten wollte mit dem Kochen.
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"Auf Jeju hat man sogar die Kinder beim Tauchen oder auf dem Feld zur Welt gebracht. Da wird man doch nicht anfangen alle Tiere fachgerecht zu töten bevor man sie in die Suppe wirft"
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Auch ne Ansicht. Was ich aber gemerkt habe, ist, dass man eine ganz andere Verbindung zum Essen und Tier bekommt, wenn es direkt vor einem gekocht wird. Irgendwie denkt man sich plötzlich vollkommen verrückte Gedanken: "Danke, dass du für mein Essen stirbst". So weit, dass ich Vegetarier werde, würde ich ja nie gehen, aber irgendwie finde ich eine bewusstere Beziehung zum Essen, also zu dem wie etwas auf den Tisch kommt, ganz nett. Trotzdem möchte ich mein Schnitzel auch zukünftig gebraten und nicht ein Schwein und ein Messer, damit ichs mir selbst rausschneiden kann ^^
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Alles weitere dann in den Fotos. Wir haben wirklich eine Menge erleben dürfen und es ist von allem etwas dabei: Yachtfahren im bewölkten und aufgewühlten Pazifik, Pferdereiten durch die Wildnis, Filmsets mit Stadtszenen aus Goguryeo (warum auch immer :D), wunderschönes Meer, viele Palmen und noch viel mehr Meeresfrüchte. Und das Teddybärenmuseum und das Haenyeo-Museum und und und.
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Jeju

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2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Für diese Fotos sollte man dich ersch... grrrrrr

Tom

Jens-Olaf hat gesagt…

Das alte Korea gibt es auch noch, allein Gimhae wimmelt von Wahrsagern.

Als SJ schwanger war, durfte ich nicht mehr an einem Dschangsungnim weiterarbeiten. Zu der Zeit flogen schwarze Vögel, ein Messer flog um Mitternacht auf den Feldweg vor unserer Tür. Salzstreuen ist auch öfter zu beobachten. Und die Gräberpflege bei Chuseok, angeblich soll das Familienschicksal davon abhängen, sagen sie.
Und wenn eine bekannte Schamanin ein Buch schreibt ("Eine Frau, die die Geister erwählten") wird es zum Bestseller, zum Teil auch bei Christen.