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Der Abflug im rosaroten Abendhimmel, wenn das Flugzeug sich langsam über die kleinen wabenförmigen Felder mit ihren Lavastein-Einrahmungen erhebt, den Hallasan hinter sich lässt und die letzten Wellen sichtbar werden, die an die Küste preschen.
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Und der Anflug aus dem Dunkeln auf Seoul, auf ein unvergleichbares Lichtermeer, ein riesiger Ameisenbau, ein pochendes Herz, vorbei an den erleuchteten Brücken des Hangang, den Namsan Tower im Blick vorbei an der Nationalversammlung und alles in einer Höhe, dass man meint, mit den vielen vielen glitzernden Hochhäusern zusammenzustoßen. Die Leuchtreklamen kommen näher, dann meint man eine Straße zu streifen und schon ist man gelandet. Unvergessliche Momente, die es mir unmöglich machen, diesen Betonklotz nicht zu mögen. Man flüchtet vor der Stadt in das andere Korea, aber irgendwann kommt man zurück und ist aufs Neue fasziniert von Glitzerglanz und Abwassergestank.
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Nach nunmehr 4 Tagen komme ich endlich dazu, ein paar Gedanken zu meiner 3-tägigen Reise nach Jeju aufzuschreiben. Wider meiner Erwartung sind die Eindrücke noch sehr frisch, es scheint als wäre alles zwischengespeichert worden und wäre nun jederzeit abrufbar. Es sind interessanterweise kaum Bilder, es sind Geräusche, die mich von Jeju träumen lassen.
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Das Zischen der Abalonen als sie im Meeresfrüchteeintopf verschwinden, das Wiehern der frei umherlaufenden Pferde, das Flattern des Segels unserer Yacht im frischen Pazifikwind, das bedrohliche Tropfen des Regens an die Hotel-Fensterscheibe am Morgen des zweiten Tages und das Tropfen des Wassers auf den Boden der Weltnaturerbe-Höhlen, das Pfeifen der Meerestaucherinnen und nicht zuletzt der noch immer wohlig im Ohr wabernde Dialekt unserer Führerin, Frau Han Seungi.
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Und dieser Frau habe ich es zu verdanken, dass ich Jeju entdecken konnte, wie es mir kein Buch und kein Unterricht der Welt über Jeju je vermitteln könnte. Frau Han ist die bekannteste und dienstälteste Touristenführerin der Insel und steht für Jeju wie es sich keine Nationale Zentrale für Tourismus besser ausdenken könnte.
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Als sie merkte, dass ihr Mann eher Hindernis ist als Hilfe, entledigte sie sich diesem Hindernis per Scheidung, nahm ihre beiden Söhne und fing an als Touristenführerin. Das war vor 20 Jahren als Scheidung in Korea noch etwas Undenkbares war. Nicht so in Jeju wie mir in den nächsten Tagen klar werden sollte.
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Die ganze Insel scheint von Frauen regiert zu werden. Frau Han regiert die Tourismusbranche, wie man an den Geschenken erkennen konnten, die wir überall erhielten, wenn Frau Han nur am Horizont auftauchte. Aber es ist auch kein Wunder; sie ist eine der beeindruckendsten Frauen, die ich je getroffen habe. Nicht nur ist sie alleinerziehend mit zwei Kindern, nicht nur ist sie voll berufstätig, sie hat sich einen Humor und eine Lockerheit bewahrt, die einen vom ersten Wort an wie zuhause fühlen lässt.
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"Wisst Ihr, eigentlich hat Jeju die schönsten Frauen des Landes. Man sollte eigentlich alle jungen Frauen sofort aufs Festland schicken. Wenn man das nicht tut, enden nämlich alle so wie ich. Schaut euch mich mal an: Eigentlich habe ich eine ganz tolle Erbanlage, ich könnte ein wunderbar ovales Gesicht haben. Aber habt Ihr Mal die Steine am Strand gesehen? Alle kugelrund geformt. Und dann guckt Euch mein Gesicht an. Und nun stellt Euch mal vor wie ihr aussehen würdet, wenn Wind und Wasser ein halbes Jahrhundert an Euch nagen!"
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Als sie mir schließlich am letzten Tag kurz vor der Abfahrt bei einem Kaffee, den sie mir auf Kosten des Souvenirladenbesitzers spendierte, erklärte, dass ich sie doch von jetzt an "große Schwester" nennen dürfe, wär ich fast explodiert vor Ehre. Und als wäre das nicht genug, verflüchtigten sich alle Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit als sie mir am Tag nach der Abreise von der Tour aus eine SMS schrieb. Ich war also wirklich ein besonderer Gast gewesen und ihre Freundlichkeit nicht nur aus Arbeitszwecken.
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Am nächsten Tag kam dann folgende Nachricht: "Bruder, komm deine Schwester bald auf Jeju besuchen, wir brauchen hier Männer wie dich. Wohnen kannst du bei mir, aber kochen musst du selbst - wer als erstes nach Hause kommt, der macht das Essen für den Rest, so läuft das hier!"
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Inzwischen sind die Planungen so weit, dass ich wohl im Sommer zwei Monate auf Jeju als Reiseführer arbeiten werde. Mit ihrer Erfahrung bin ich so gut wie gebucht, zumal sie wohl bald ihren Job an den Nagel hängt und eine eigene Firma aufmacht. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Jedenfalls könnte ich das Geld gut gebrauchen und zwei Monate auf Jeju arbeiten würden mir zeigen, ob das Paradies wirklich eines ist, wenn man jeden Tag im Bus durchschaukelt.
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