Politische Wandel vollziehen sich stetig und langsam, an Wahltagen werden sie dann deutlich sichtbar. Mit aller Wucht und brachial in der Sache, vom Prozedere aber erstaunlich ruhig.
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Waren gestern bei der sehr netten Wahlparty von Goethe-Institut, Handelskammer und Botschaft. Publikum bis auf die Wirtschafts- und Teile der Stiftungsleute natuerlich straff links, dementsprechend die Stimmung nach den ersten Hochrechnungen straff in Richtung Rotweinvernichtung. Da wurde dann teils Trauerarbeit in Eckchen betrieben, teils die Wut aus dem Bauch getanzt, sich wie erwaehnt bei Gewinnern und Verlierern schlicht besoffen oder man diskutierte angeregt ueber Ministernamen. Alles in allem ein sehr sehr netter Abend, der mir vor allem zeigte, was fuer unterschiedliche Deutsche es doch in Seoul gibt.
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Es gab uebrigens dort auch eine "Seouler Wahl".
Genaues Ergebnis: Hier klicken (Danke Gitte ^^) Zusaetzlich gab es 4% Rechte, 2% MLPD und 2% Piraten....
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Faszinierend, dass es unter den Deutschen in Korea Leute gibt, die rechtsextrem
waehlen - oder waren es gar Koreaner.
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Inhaltlich gesehen
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Aber Mal zum Butter, wat bei die Fische zu kommen hat. Was wir gestern erlebt haben in voelliger Ruhe und Gelassenheit ist nicht mehr und nicht weniger als das endgueltige Ende alles dessen, was man als deutsche Parteienlandschaft kannte. Und das ist keine Uebertreibung. Es ist der letzte Sargnagel in die Bonner Republik.
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Und es war Mal wieder eine ziemliche Ohrfeige fuer die sogenannte Vierte Gewalt, die Medien. Finde eigentlich nur ich es komisch, dass sich in Deutschland die Waehler immer medial antizyklisch verhalten? Als in den Medien schwarz-gelb propagiert wurde, bzw. zumindest nicht niedergeschrieben wurde, waehlte man ploetzlich doch wieder Schroeder.
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Und jetzt, wo einem alle schlaue Journalisten erzaehlt haben, dass die SPD aufholt und ueberhaupt Zweierbuendnisse unmoeglich sind und man sich nicht so eingraben sollte in die Lager - da gewinnt das "altbackenste" aller Lager, die Mutter aller Bunker, sang- und klanglos mit satter Mehrheit, woran ich uebrigens selbst kaum noch geglaubt habe. Meine erste spontane Reaktion nach der Prognose: "Und dafuer haben wir uns jetzt Monate Argumente um die Ohren geschmissen, gekaempft und mediale Dauerbeschallung angetan?"
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Ist doch eigentlich so einfach: Waehlen gehen, Mehrheit. Bums. Ist Merkel mit ihrer Einlullungsstrategie also doch die Groestraz (groesste Strategin aller Zeiten?). Ich wette ein Drittel der Leute wusste gar nicht, dass ueberhaupt Wahlen sind. Da hilft es auch nichts, wenn Frankie diese Leute in seine "eigentlichen, also das erweiterte Waehler...spektrum" der SPD einbezieht.
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Auch wenn es vielleicht so klingt: ich freue mich ueber das SPD-Ergebnis kein bisschen. Sicher, es war ganz interessant die niedergeschlagenen SPD-Anhaenger zu sehen. Als ich mich anfing fuer Politik zu interessieren, haette ich nicht zu traeumen gewagt, dass wir mal mit dieser stolzen Partei auf Augenhoehe sein wuerden. 41 zu 6 stand es da. Sehen wie sich das in wenigen Jahren drehen kann, ist schon faszinierend, aber aus demokratietheoretischer Sicht sicher keine Genugtuung.
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Die SPD war ein grosser Bestandteil deutscher Nachkriegs-Erfolgsgeschichte, eben weil sie links war, aber Politik fuer die Realitaeten gemacht hat. Dass das jetzt wegbricht ist kein gutes Zeichen. Verdient ist die Niederlage allemal, begruessenswert trotzdem nicht wirklich.
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Zur FDP ist nicht mehr viel zu sagen. Konsequenz zahlt sich aus, jetzt muss man versuchen Kurs zu halten in der Regierung und die vielen neuen, motivierten Leute (von wegen "Leihstimmen", guckt euch die Analysen mal an!) auch einzubinden und zu halten. Im Uebrigen wird schwarz-gelb kein Stueck wie das damalige Schreckgespenst, das jetzt wieder gemalt wird. Auch wird die FDP nicht als Bettvorleger landen: Damals war das Kraefteverhaeltnis CDU/CSU/FDP 34 zu 8 zu 6...jetzt ist es 26 zu 6 zu 14...die FDP bringt fast 100 Abgeordnete in den Bundestag. Das wird wirklich spannend, wie sich da innerhalb der neuen Regierung alles sortiert.
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Persoenlich kann ich mich daran erinnern wie man als FDP-Anhaenger beschimpft und teils bespuckt wurde in Wahlkaempfen. Ignorieren der Argumente und Wahlergebnisse von 2% waren da noch die angenehmsten Seiten. Heute zieht Westerwelle in Ostdeutschland 2500 Leute auf einen Marktplatz. Wie sich die Zeiten doch geaendert haben. Warum eigentlich und wie?
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Da ist uebrigens noch eine Sache, die sich die Aelteren gar nicht vorstellen koennen. Es ist das gleiche Momentum wie damals bei Kohl: Leute aus der Generation wie meiner kennen ueberhaupt nichts anderes als die SPD in der Regierung. Ich kann mich dunkel an Kohl erinnern, aber nicht an seine konkrete Politik. Dafuer hat mich mein gesamtes politisches Leben die SPD als Regierungspartei begleitet. Das Debakel auf blosse Abnutzung zu schieben, greift sicherlich zu kurz, aber wenn ich mir ueberlege, dass ich keine andere Entwicklungshilfeministerin als Frau Wieczorek-Zeul kenne, ist es doch ganz gut, jetzt Mal ein paar neue Leute sich auszuprobieren zu lassen.
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In diesem Sinne: Schwarz-gelb wird kein Paradies aus Deutschland machen, aber sie werden auch nicht die Kinder von Hartz-IV-Empfaengern braten und Atomkraftwerke in Kreuzberg bauen. Ein demokratischer Regierungswechsel, eine Chance zur Erneuerung fuer abgenutzte Politik, neues Personal in der Regierung, veraenderte Strukturen - diese Ergebnis ist deutlich vielfaeltiger und interessanter als es die blossen Zahlen hergeben. Jetzt gleich wieder rumzuweinen ist echt nicht angebracht.
Und nicht zuletzt erweisen sich die Piraten als durchaus zukunftsfaehig. Kommt da vielleicht schon die sechste Partei hoch? Ein langer Weg liegt da noch vor, aber 2% auf Anhieb sind nicht schlecht.
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P.S.: Auswertung des Wahltipps folgt heute abend, habe die Daten gerade nicht da, aber es waren einige gute dabei^^ Die Auswertung ist dann der versprochen letzte Eintrag zur deutschen Politik fuer eine Weile
3 Kommentare:
hast die spd glatte drei prozent heruntergerechnet. maria hat geistesgegenwaertig das endergebnis fotografiert: http://mainzelmaedchen-in-seoul.blogspot.com/2009/09/wahlparty.html.
wie jetzt, glaubste da wurde aufgrund von frust getanzt und getrunken? bei ersterem gibts viele gruende, zum beispiel gute musik. bei zweiteren gibts wohl den grund, dass alles freibier und freiwein war. deine interpretation ist sowas von wunschdenken!!!
gitte
@Ich meinte nicht die jungen Leute, sondern die, die sich oben in der Bibliothek oder unten in den Raeumen die Kante gegeben haben ^^
Sehr interessant, Deine Analyse des Wahlergebnisses. Stimme Dir größtenteils zu. Ich finde das schlechte Abschneiden der SPD sehr bedenklich für die deutsche Demokratie & Parteienlandschaft. Dabei erschreckt mich allerdings noch viel mehr das gute Ergebnis der Linkspartei, die ja bekanntermaßen einerseits "Reichtum für alle" und andererseits auch "Reichtum besteuern!" fordert...
(http://www.tegget.de/914_die-linke-reichtum-fur-alle-vs-reichtum-besteuern.html)
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