9.10.09

Neunter Oktober

Naechstes Jahr ist der 9. Oktober, Tag der Proklamation des Koreanischen Alphabets, wahrscheinlich wieder offizieller Feiertag. Schade eigentlich, denn dann liege ich den ganzen Tag rum und mache nichts. Heute hingegen habe ich trotz Arbeit eine Menge erlebt. Doch beginnen wir von vorn.
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7:40 Uhr Der Wecker klingelt, ich kaempfe mir den Weg durch Uebernachtungsgaeste zum Wasserkocher. Roiboos-Tee, gestern bei Wood&Brick gekauft, heute den Morgen gerettet. Frisches Ciabatta dazu. Das Leben ist schoen. Mir das Elend um mich herum ein bisschen angeschaut, zufrieden gewesen, dass ich gestern erst beim Sport war und nur ein Bier getrunken habe.
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8:32 Uhr Bus kommt, ich habe einen Platz. Ich bin noch froher.
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8:58 Uhr Wie jeden Morgen halten mich einige Laufburschen und Putzangestellte fuer den Chef. Ich schmunzel vor mich hin und find es lustig. Oben angekommen erst Mal einen Kaffee.
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11:44 Uhr Wieder einmal ein Viertelstündchen abgezwackt. Mittagspause. Mit Paula in ein Gumong Sikdang, zum ersten Mal seit langem im Zentrum ein sättigendes Mittagessen für 4.000 Won bekommen.
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12:41 Uhr Jetzt aber schnell zurück in die Firma. Muss ja noch das Nachrichten Extra für KBS für heute schreiben.
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13:02 Uhr Gut geschafft. Erst einmal die Hälfte meines Arbeitsberges auf den armen Jungho abgewälzt. Dann ein weiteres Viertel auf das Designerteam. Kaffee getrunken, machbare Arbeit gemacht.
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15:04 Uhr Und weg. Man hat ja auch noch andere Dinge zu tun. Ab zur Hana Bank, Auslandsüberweisung, zweiter Versuch. Dies Mal klappt es. Dauert aber ewig lange, bis mir geglaubt wird, dass ich auch wirklich ich bin.
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15:34 Uhr So viele japanische Flaggen? Ein Menschenauflauf? Was hatte ich gerade für KBS geschrieben? HATOYAMA!
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15:49 Uhr Premierminister Hatoyama und seine komische Frau kommen aus dem Lotte Hotel. Sehr freundlich, lassen sich ein wenig Zeit zum Winken. Dann sind sie weg. Ich habe den Chef der zweitwichtigsten Wirtschaftsmacht der Welt gesehen. Freu.
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16:02 Uhr Vertrag ans Außenministerium per Einschreiben an die Post schicken. Riesige Schlange, lange gedauert. Post kostet echt gar nichts in Korea.
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16:17 Uhr Jetzt bin ich eh zu spät bei KBS, also noch eine Runde auf dem Gwanghwamun Plaza drehen. Heute wurde zum Hangeul-Tag die neue Statue von König Sejong enthüllt. Wie es sich für Korea gehört, hat die Statue im Fundament einen Eingang mit Fahrstuhl, im Keller gibt es eine große Ausstellung zu seinem Leben und Werk. Sehr gut gemacht.
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16:59 Uhr Ankunft am Yeouido-Park. Dutzende Busse geparkt, hunderte Studenten. Sportfest? Von wegen: "Landesweite Union zur Überwindung der Krise der Physiotherapie" lässt die Truppen aufmarschieren. Es gibt niemanden, der nicht gegen irgendwas demonstriert hier. Man kann es aber auch nicht allen Recht machen. Die Zulassung von traditionellen Ärzten als Physiotherapeuten empört die schulmedizinischen Physiotherapeuten. Es wird gesungen, geschrien, die Faust in die Hand gestreckt. Typische koreanische Demo eben.
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17:09 Uhr Erst Mal einen Kaffee im Büro. Kurzer Plausch mit meinen Produzenten, Geschenke und Ausrüstung für Wochenend-Interviews eingepackt, weiter.
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17:27 Uhr Zuhause. Hoch in die Wohnung.
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17:29 Uhr Benachrichtigung von der Post. Einschreiben hinterlegt beim Concierge. Vom KLTI. Ist es die Benachrichtigung wegen des Übersetzerpreises? Wieder runter. Schnell.
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17:31 Uhr Wieder hoch. Alles in die Ecke werfen. Ist nur der Vertrag für das Kinderbuch. Den wollten sie mir längst geschickt haben. Ist glaube ich die freundliche Erinnerung, dass ich jetzt die Hälfte des Buches übersetzt haben müsste. Witzig.
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17:32 Uhr Papierkram, Rechnungen sortieren. Übersetzen. Nachrichten gucken. Essen bestellen. Essen. Duschen. Anziehen.
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19:20 Uhr Wieder in die Bahn. Wieder einen Platz. Bräuchte einen Kaffee.

20:04 Uhr Ankunft in der ersten Pause zur Ausgleichsvorlesung von Prof. Im. Jede verpasste Minute ist schade. Zeit reicht nur für Automatenkaffee.
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21:15 Uhr Professor fragt heute unangekündigt Leute nach den Readings ab. Mist. 90% erst einmal aufgeflogen. So viel zur Elite-Uni. Und ich dachte ich bin der einzige, der die 400 Seiten pro Woche nicht sinnverstehend lesen kann.
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22:53 Uhr Zuhause. Fussbad. Weiter uebersetzen bei guter Musik und einem oder mehreren Glaeschen Bier (die sogenannte Sasse-Methode ^^). Und bevor das jetzt wieder irgendjemand als boesartig auffasst: Von ihm selbst beschrieben und aktiv empfohlen.
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Bilanz? Einen Staatschef gesehen, eine Ausstellung gesehen, an einem Tag gerade Mal 23.000 Won ausgegeben, deutlich mehr verdient und trotzdem noch eine gute Tat getan. Briefe verschickt, Briefe bekommen. Viel gelernt, noch müder als gestern abend.
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Und das witzigste: Ich fuehle mich beschaeftigt, sehr beschaeftigt und ausgelastet, auch erschoepft, aber nicht gestresst. Klingt paradox, liegt aber daran, dass man sich nicht stressen laesst. Das ist sehr wichtig. Das habe ich ein wenig vernachlaessigt, weil ploetzlich an so vielen Fronten Feuer ausgebrochen ist. Jetzt seh ich der einen Haelfte der Feuer beim Brennen zu (waermt schoen an kalten Herbstabenden), die anderen loesche ich und die naechsten versuche ich mit moeglichst wenig Aufwand einzugrenzen. 2 Wochen Krise und jetzt gehts wieder aufwaerts.
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Wirtschaft ist 50% Psychologie, Politik 80% und Zufriedenheit 100%. Punkt.
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4 Kommentare:

Alex K. hat gesagt…

Genau wie beim Literaturnobelpreis erhalten auch den Friedensnobelpreis nicht immer die verdientesten Kandidaten... Hast Du schon mal was von Herta Müller gehört???

Jens-Olaf hat gesagt…

Herta Müller und Nobelpreis ist okay. Wer nur ein bisschen Gefühl für Osteuropa (auch Ostdeutschland) hat, kennt sie. Europa ist eben mehr als nur "altes" Westeuropa.
Bei der Österreicherin hatte ich mehr Probleme.

Alex K. hat gesagt…

Ich sage ja nichts gegen Herta Müller - außer daß ich noch nie von ihr gehört habe ;-) Aber wer denn Nobelpreis meiner Meinung nach wirklich verdient hätte ist Hwang Sok-Yong.

Gomdori@KU hat gesagt…

Hehe, ja ein Koreaner waer Mal dran..darauf warten die beim KLTI ja seit Jahren...es gibt wirklich gute Kandidaten, aber ist halt nicht auf der Karte ^^

@Jens-Olaf: Ich wuerde auch nicht sagen, dass Mueller unverdient ist, aber mir fielen auf Anhieb ein dutzend Leute ein, die es eher verdient haben. Fuer mich ist das eine Verlegenheitsloesung.