28.5.09

Kerzenproteste reloaded? - Ein persönlicher Zwischenruf

Ich war heute am Traueraltar vor dem Deoksugung und an der Gedenkwand am Doldamgil entlang der Palastmauer. Und ich war schockiert, aus mehreren Gründen.
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Ich habe zum ersten Mal im Leben erlebt, was Massen bewirken, was sie für eine Dynamik entfalten. Man ist versucht, sich anzuschliessen oder zumindest irgendwie mitzumachen. Man möchte nicht unangenehm auffallen. Ich bin immer noch ganz durcheinander. Zunächst einmal vorweg und ich meine es sehr ernst: In der Reihe stehen viele, denen ich ehrliche Trauer glaube, die sich voller Anteilnahme die Bilder anschauen, die vielen Gedichte und Briefe lesen und auch wenn die Kerze als Symbol extrem politisch aufgeladen ist durch die jüngere Vergangenheit - es sei ihnen gelassen. Bewegend war z.B. eine improvisierte Gedenkfeier mit Reden und Videos von bzw. über Roh, um das sich Menschen in stiller Trauer versammelten.
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Dann gab es natürlich die Gaffer, die eisschleckend und lachend mit ihren schwarzen "in Trauer"-Schleifchen rumliefen und jede Medienkamera suchten, um sich in Szene zu setzen. Grausam.
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Was mich aber wirklich schockiert, bzw. meine bösen Vorahnungen bestätigt hat, war die Politisierung des Ganzen. Das wird nicht schön. Leute in Zivil halten an strategischen Stellen Plakate hoch, alle die gleichen handgeschriebenen Plakate mit der gleichen Botschaft: Ab dem 30. Juni (also dem Tag nach der Beisetzung) geht der Kampf um die Macht im Lande los. Dann wird die Mörderbande Lees aus dem Amt gejagt. Schon heute waren eine Menge Kerzenlichter wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht.
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Auf dem wunderschönen Platz hinter dem Deoksugung, zwischen Jeongdong-Kirche und Städtischem Kunstmuseum schreien dann "Demonstranten" den Wartenden auf einer Bühne "Ihr Polizeiwichser, ihr müsst ab morgen alle sterben" entgegen. Auch beliebt ist "Präsident Lee muss man die Kehle durchschneiden" und ähnliche "gänzlich unpolitische Trauerbekundungen für Präsident Roh". Einige unter den in der Warteschlange stehenden schütteln den Kopf, andere halten den Kindern die Ohren zu, wieder andere stimmen dem ganzen zu, klatschen. Eine Vielfalt, wie sie das linksliberale bis linksextreme Spektrum Koreas nicht besser wiedergeben könnte: Und es ist tatsächlich auch ein Querschnitt durchs Volk, der vertreten ist: Bettelnde Penner, Besoffene, Schülerinnen, Familien, Geschäftsleute, Rentner - und zwischendurch Snackverkäufer, irgendwie muss man ja "essen und leben", wie der Koreaner sagt, wenn es ums Verdienen geht.
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Überall an den Wänden kleben die Aufrufe zum Widerstand, der Juni wird schon zum Monat des Widerstands ausgerufen, irgendeine Organisation hat Plakate kleben lassen "Wir trauern um: Demokratie"
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Dazu passt der neueste Kommentar Kim Dae-jungs: Die Demokratie befinde sich in einer Krise. Präsident Lee habe die Demokratie zurückgeworfen. Bin gespannt wie die beiden morgen auf der Trauerfeier miteinander umgehen. Und was dann passiert.
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Ich gehe mit Kim Dae-jung durchaus einverstanden. Unter Lee hat Korea vieles an Freiheit verloren, vieles auch an Toleranz eingebüßt. Aber deshalb den Untergang der Demokratie an die Wand malen? Was hat bitte die Öffnung eines Platzes mit Demokratie zu tun? Morgen für die Trauerfeier wird er ja immerhin kurz zugänglich gemacht. Ist dann für 30 Minuten Demokratie? Fängt Demokratie erst an, wenn man überall demonstrieren darf? Dann ist Deutschland auch keine Demokratie. Dann gibt es wohl überhaupt keine Demokratie auf der Welt. Ich verstehe die verkürzten Diskussionen nicht.
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Es mag ja sein, dass ich blind bin, nicht so gebildet wie Politik-Professoren und viel zu wenig über (koreanische) Politik weiss, aber ich finde es für eine Demokratie viel gefährlicher, die politische Diskussion auf die Straße zu verlagern, mit Parolen, die zum Mord des Präsidenten aufrufen (was für ein Zynismus zum Mord aufzurufen, wenn man dem Gegner den Mord an Roh vorwirft, das sind Steinzeitverhältnisse!) als wenn man einen Platz absperrt. Egal ob die Bedenken wegen Verkehrschaos nun berechtigt sind oder nicht.
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Ich wehre mich gegen diese Vereinfachung. Lee = Böse, Roh = Held. Lee ist kein guter Präsident, ich habe ihn nie als Präsident gewollt, aber das Präsidentenamt zu stürmen und anstatt Lee plötzlich Jeong Dong-young, Jeong Se-gyun oder sonstwen zum Präsidenten zu machen, das ändert gar nichts an den Problemen der koreanischen Demokratie. Wer bei den Kerzenprotesten zum Mord am Präsidenten aufruft, egal aus welchen Gründen auch immer, dann aber nicht wählen geht, der ist für mich schlicht und einfach kein Demokrat.
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Ich hoffe wieder einmal, wahrscheinlich vergebens, dass sich vernünftige Kräfte durchsetzen. Allen voran Han Myeong-suk, die als eine der wohl engsten Anhängerinnen von Roh die Kraft hätte, sich an die Spitze einer Bewegung der Lee-Kritischen Linken zu setzen, die aber innerhalb demokratischer Institutionen versucht, etwas zu bewegen und nicht durch Agitation, Populismus und Verängstigung. Das sind nicht die Mittel, um gegen den Vorwurf von Verängstigungstechnik auf der anderen Seite vorzugehen und ich denke, dass Leute wie Frau Han dies auch sehr gut wissen. Ob Westentaschenpopulisten wie Jeong Se-gyun das hingegen wissen, ist die Frage.
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Der Feind der Demokratie sitzt nicht im Blauen Haus, er sitzt nicht in der Hannara, er sitzt überall: Er sitzt bei Leuten, die Demokratie nur als Machterhalt und -Ausbau sehen. Der Feind der Demokratie sind Politiker, die durch ihre Netzwerke Unterstützung in ihren treuen Kreisen erlangen; und solche Politiker sitzen in allen Parteien. Feinde der Demokratie sind auch Leute, die die Gepflogenheiten parlamentarischer Diskussion nicht schätzen, sich lieber prügeln, Ausschüsse blockieren, "weil die Mehrheiten darin nicht die aktuelle Meinung des Volkes repräsentieren" und im Parlamentspräsidentenzimmer mit der Axt rumhauen.
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Gegen all diese Feinde, in allen Parteien, in allen Landesteilen, im ganzen Volk - da ist schwer vorzugehen, man kennt einige Namen, man meint einige weitere zu kennen und im Endeffekt wählt man im Südwesten doch wieder Minju und im Südosten doch wieder Hannara. Roh hat erkannt, dass der Regionalismus ein Übel des Problems ist; lösen konnte auch er es nicht.
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Und ich wiederhole mich gerne, auch wenn mir manche immer noch gerne vorwerfen, ich sei Lee-Freund (nichts ist der Wahrheit ferner): Nur weil man Hankyoreh liest, ist man eben kein Demokrat. Nur weil man Chosun Ilbo liest, ist man nicht Antidemokrat. Das Problem Koreas ist Schwarz-Weiß. Das Recht des Stärkeren und die unkanalisierte Wut der Schwächeren.
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Und das noch viel größere Problem: 200 Meter weiter von den Protesten/Trauerfeiern entfernt, läuft das Leben ganz normal weiter, da interessiert es keinen, was da am Deoksugung passiert. Recht betrachtet, vollkommene Entpolitisierung ist vielleicht noch gefährlicher als Überpolitisierung und Populismus.
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6 Kommentare:

na-bee hat gesagt…

auf diese 'trauergaeste' kannst du gar nicht geben!!!! ich auch gezwungen (?) gestern hingehen, alle zusammen. unser 사장 hat das gesagt.

근데 태성아...요즘 정치만 보도하는건데? 대학원은 어떻게 됐니?

Jens-Olaf hat gesagt…

Also, ich war in der Nacht in Bongha. Da waren diejenigen, die drei Stunden mit Familie sich den Schlaf schenkten, um am Altar von Rho Abschied zu nehmen. Das Dorf ist eng, und die meisten mussten danach wieder gehen, sonst hätte das alles nicht funktioniert. Am Rande habe ich natürlich auch Plakate gesehen mit Lee und "I...a". Da musste ich an Seoul denken, dass es wohl anders werden kann. Du hast es beobachtet. Aber Bongha war eben nicht so.

Gitte hat gesagt…

ich stimme mit dem ersten drittel deines posts überein. die gefühlsausbrüche kommen durch diese massendynamik. auf einmal denkst du, du bist teil eines signifikanten ganzen, du denkst, die zeit steht still. aber wenn du nicht zufällig im zentrum warst, lief das leben so weiter wie bisher, als sei gar nichts geschehen oder als hätte das geschehen keine bedeutung. auch die politisierung fand ich erschreckend.

es ist wie mit namdaemun: erst als es weg war, haben die leute gemerkt, dass es je da war. die leute sagen "ich hab mich noch nie für politik interessiert, aber jetzt scheint mir roh auf einmal so menschlich..." mh.

übrigens ist so eine trauerfeier eine gute gelegenheit, arbeit und uni zu schwänzen. ^^

Jens-Olaf hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Jens-Olaf hat gesagt…

Thema Gefühlsausbrüche, das hat hier nicht unbedingt wa mit Massenpsychologie zu tun. Möchte ich nicht weiter ausführen, aber seit einem Todesfall in der Familie(also seit ich Korea kenne) denke ich, ich bin ein Stein, wenn es um Trauer geht.

Gomdori@KU hat gesagt…

Die Gefuehlsausbrueche haben in der Intensivitaet auch meiner Meinung nach nichts damit zu tun - dass da eine ganz andere Tradition herrscht, ist mir zwar gluecklicherweise nur aus Buechern und Filmen bekannt, aber dieses "Klagegeschrei" ist ja auch kulturell verankert. Auch ist das selten so gespielt wie es aussieht - man steigert sich eben endlos hinein, wie in Ekstase.

Die Masse und dieses 'Anstecken' von Leuten aber, die gar nichts mit dem Verstorbenen zu tun hatten, das hat denke ich schon was mit Massenpsychologie zu tun.