8.7.11

Unterschiedliche Horizonte

Ich wollte ja eigentlich gar nichts Großes zum Ergebnis sagen. 63 zu 25 hätte eigentlich als so ordentliche Ohrfeige für die deutsche Bewerbung sitzen müssen, dass man sich in Ruhe überlegt, ob und vor allem wie man noch mal antritt, aber erst einmal den Gewinnern angemessen gratuliert. Und dann sehe ich in den letzten beiden Tagen die deutschen Medienberichte. Da wird über "die verarmte Provinz" in Südkorea, die "Retortenstadt" Pyeongchang mit Trockenfisch gespottet, schlafende alte Menschen in der Stadt gezeigt, weil Olympia ja nur ein Konjunkturprogramm für Korea ist, um die überalterten Bergdörfer zu beleben, dann bekommen die Medien nicht einmal annähernd die Aussprache oder Schreibweise hin (im Heute Journal 3 verschiedene Aussprachen und zwei Schreibweisen in 10 Minuten!). Und dann setzt der OB von München in der Zeit dem ganzen noch die Krone auf und beschwert sich, dass Samsung die Spiele gekauft hätte und die Athleten und Zuschauer jetzt unter der Entscheidung zu leiden hätten. Da platzte mir dann doch der Kragen.
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Deshalb noch einmal in aller Kürze und gewohnten Polemik die wichtigsten Punkte abgearbeitet.
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Mitmachen oder nicht - Am verlogensten ist das ganze Argument, dass es gut sei, dass man verloren habe, weil das IOC so korrupt ist und Olympia nur noch kommerziell und die Umwelt zerstört wird und überhaupt. Wenn man mitmacht, muss man sich auf die Spielregeln einlassen, das ist überall so. Und im Vergleich zur FIFA ist das IOC geradezu ein Nonnenkloster und beide Vereinigungen sind auch nicht korrupter als jeder normale Staat oder jedes normale Großunternehmen. Es ist idiotisch und naiv zu glauben, dass eine Organisation, die über Milliarden entscheidet und in der die mächtigsten Menschen aus der ganzen Welt sitzen, zum Wohle der Menschheit und völlig uneigennützig arbeitet. Muss sie auch nicht. Jedoch zu glauben wegen des Profits würde Olympia verraten oder man könne Olympia kaufen, ist trotzdem übertrieben. Mitgehangen, mitgefangen.
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Genau dieses Problem sehe ich bei Udes Kommentaren. Man kann nicht auf der einen Seite mit BMW ins Bett steigen und sich dann beschweren, dass Samsung mehr investiert. Wer das tut, gesteht sich nur ein, dass die eigene Kraft als deutsche Wirtschaft nicht mehr gegen so ein Popelland wie Korea ankommt - das ist eigentlich das traurigste Eingeständnis dieses ganzen Prozesses. Im Übrigen konzentrieren sich alle auf Samsung, Fakt ist, dass es ein nationales Projekt ist, bei dem auch andere Firmen wie Korean Air stark beteiligt waren. Und warum ist es ein nationales Projekt? Weil ganz Korea hinter dem Projekt steht. Und was war der Grund, warum BMW so zurückhaltend war und dann höchst fragwürdig noch ein Haufen Steuergelder in den Topf geworfen wurden, um irgendwie die Kandidatur aufrecht zu erhalten? Richtig, die fehlende Euphorie und Begeisterung in Deutschland insgesamt und selbst in Bayern angesichts der Aussichten erstmals seit Jahrzehnten wieder Olympia ausrichten zu dürfen. Wobei wir schon beim wichtigsten Punkt für Pyeongchang sind.
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Begeisterung vs. Retorte? Aus Marketingsicht war es meines Erachtens der größte Fehler überhaupt von München sich so sehr auf das Argument "Wintersportbegeisterung" zu verlassen, das sich durch die ganze Bewerbung zog und selbst in der launigen Präsentation noch mehrmals angesprochen wurde. Ich muss gar nicht viel dazu sagen; es ist eine Frechheit den Koreanern zu unterstellen, dass nur weil sie keine traditionelle Wintersportmacht sind, sie sich nicht an Olympia und den Wettbewerben erfreuen können. Es ist zudem eine grobe Fehleinschätzung der Mehrheit der Weltmeinung: Traditionen werden durchaus als wichtig erachtet, aber dieses trotzige "wir legen uns nicht so sehr ins Zeug wie die, aber wir sind wenigstens das Original" überzeugt außerhalb Europas nun wirklich niemanden. Ginge es danach, könnten ja gleich die drei Alpenländer auch die nächsten zwanzig Spiele schon mal unter sich aufteilen.

Zudem ist es lächerlich zu meinen, dass die Athleten jetzt unter der Wahl leiden würden - Pyeongchang bietet die kompaktesten Winterspiele aller Zeiten; Athleten wollen nicht in München shoppen und in die Disse gehen, Athleten wollen kurze Wege zu Wettkampfstätten. Punkt. Aber noch einmal zurück zum Thema Begeisterung: Gerade Deutschland sollte sich nicht zu viel auf das Sommermärchen 2006 einbilden - Deutschland gilt nach wie vor nicht unbedingt als die Partynation schlecht hin. Viele IOC-Mitglieder waren eher irritiert von dem teils flapsigen Auftreten, das diese lockere, fröhliche Art der Deutschen unterstreichen sollte, was mich zum nächsten Punkt bringt.
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Prahlen vs. Präsentieren - Ich fand auch die Präsentation von Pyeongchang teils langatmig und teils kitschig, aber was ich überhaupt nicht verstehe, ist was sich die deutschen Bewerber auf die eigene Präsentation einbilden. Ja, es gab Szenenapplaus für ein paar dieser "erfrischenden" Einlagen, die wieder einmal angestrengt deutsche Lockerheit zeigen sollten. Aber lustigerweise setzte München genau auf das, was Pyeongchang diesmal der Professionalität opferte: Überkandidelten Lokalkolorit mit traditioneller Tracht und Gejodel, teils nur noch peinlich überzogen. Man erzählt in Korea jahrelang, dass Deutschland mehr ist als Bier und Lederhosen und was macht München? Lederhosen, Jodeln und Oktoberfest als Argumente für Olympia. Da musste ich wirklich fast weinen.

Das war aber alles noch nichts gegen die negative Atmosphäre, die die Präsentation gegen Pyeongchang verbreitete. Eine der einfachsten Regeln des Campaigning ist, dass Negative Campaigning nur wirkt, wenn der Gegner nicht schon am Boden liegt und man selbst nicht allzu arrogant dabei rüberkommt. Pyeongchang war zwar der Favorit, aber in der Perzeption der schwächere, weil aus dem kleineren Land und zudem bereits zwei mal geschlagen. Wenn die beiden gescheiterten Anläufe zu einem Plus für Pyeongchang geworden sein sollten, dann weil München darauf rumhackte und explizit sagte, dass es nicht um Mitleid gehen darf. Schlechter Stil, der im übrigen dann genau in der richtigen Weise von Na Seung-yeon in der Präsentation Pyeongchangs aufgegriffen wurde: Ruhig, sachlich, bezugnehmend, aber nicht abwertend - und vor allen Dingen in Demut vorgetragen, höflich, nicht so krawallig wie die Witt, "Der Kaiser" und Bach es versuchten.
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Doch auch das war noch nicht das Ende. Eine der einfachsten Regeln im Marketing ist, dass sich Rückblicke niemals so gut verkaufen wie Visionen. Hatte München eine Vision? In jedem Satz schwang mit "verkauft nicht unsere Traditionen an die Retortenkinder da drüben". München war nicht weltoffen, München war verkrampft, auf das alte Europa, auf seinen Ruf setzend ohne überhaupt anzuerkennen, dass es vielleicht auch in anderen Ländern sportbegeisterte Menschen geben könnte. Traditionen entstehen nur, wenn man irgendwann einmal anfängt. "Der Frosch erinnert sich nicht an die Zeit als er Kaulquappe war" ist ein beliebtes koreanisches Sprichwort; München hätte es bei Bewerbung und Präsentation genutzt, dieses Sprichwort zu beherzigen. Es war für die Funktionäre offensichtlich nicht einmal denkbar, dass neue Märkte auch gerne mitmachen möchten. Natürlich wäre ein Skistadion in Garmisch voller und atmosphärischer als in Pyeongchang, aber wäre das bei einem Eiskunstlaufstadion oder einer Short-Track-Halle auch so? Es gibt nun einmal kein Land und keine Stadt, in der alle Wintersportarten gleichmäßig beliebt sind. Sich darauf zu verlassen, dass die eigene Begeisterung besser sei, weil sie schon seit 150 Jahren existiert und nicht erst seit 15, ist wirklich arrogant und völlig an den Gegebenheiten der Zeit vorbei.
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Insbesondere wenn man bedenkt, was für Anti-Olympia-Bewegungen es in München und vor allem in Garmisch gab und wenn man das mit der Begeisterung der Koreaner insgesamt und insbesondere der Leute vor Ort vergleicht, dann war es eine ziemlich schwache Karte, auf die München gesetzt hat. Insgesamt hatte die gesamte Präsentation hatte nichts von der Demut und höflichen Bitte Pyeongchangs, die viele IOC-Mitglieder in letzter Minute noch überzeugt hat. Aber in den deutschen Medien wird die Mär aufrecht erhalten, dass die Präsentation toll war. Ein deutscher Kommentator meinte sogar direkt vor der Abstimmung, dass sie eindeutig die beste gewesen wäre und das Rennen wohl noch einmal verkürzt habe.
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Das ist übrigens etwas, was ich immer wieder auch allgemein merke: Natürlich finden wir Deutschen unsere Art alles zu tun am logischsten und effektivsten und wir geben oft vor andere Kulturen zu verstehen. Tun wir aber nicht. Was bei uns als kitschig gilt, kommt woanders gut an, was bei uns logisch ist, muss es für die Mehrheit des IOC nicht sein. Es gilt aber die Mehrheit des IOC zu gewinnen und nicht sich selbst toll zu finden. Pyeongchang hat das langsam gelernt, München nicht.
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Das Argument, das alles vorher entschieden war, ist Unfug, wie sich in diesem Zusammenhang ebenfalls zeigt. Wie inzwischen bekannt ist, hatte Pyeongchang vor der Abstimmung nur ungefähr 44-46 Stimmen sicher. Man ging im Kommitee von höchstens 52 Stimmen im ersten Wahlgang aus. Irgendwo her müssen also die zusätzlichen 10-20 Stimmen gekommen sein. Wäre die Präsentation von München so grandios gewesen, wären diese Stimmen ja zu den für München bereits verbuchten 35-45 Stimmen hinzugekommen und nicht noch abgegangen. Die Witt war alles andere als überzeugend - Kim Yuna mag für deutsche Ohren kitschig und kindlich gewesen sein und nicht so eine starke Powerfrau wie die Witt, aber mit einer alternden Eiskönigin gegen die amtierende Eiskönigin anzutreten, war keine gute Idee. Auch Beckenbauer hat klar das Duell gegen Dawson verloren: Dawson hatte eine bewegende Geschichte zu bieten, in der er ganz klar ansprach, dass Korea früher zu schwach und arm war, um seine eigenen Kinder zu fördern und sie deswegen ins Ausland gab. Das war einer der entscheidenden Momente für viele unentschlossene IOC-Mitglieder wie die Interviews zeigen. Auch ich persönlich fand die offensive Art mit der Vergangenheit umzugehen, das wohl Überraschendste am ganzen Auftritt Pyeongchangs und sehr passend, weil es die Verbindung zu den Entwicklungsnationen baute. Überhaupt ist Korea immer dann am überzeugendsten, wenn es nicht prahlt, sondern sich als Brücke präsentiert - quod erat demonstrandum.
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63 vs. 25 (und 7) - Und dieses Endergebnis ist es, das eigentlich alle Schönredner hätte verstummen lassen sollen. Dieses Ergebnis, das höchste aller Zeiten in absoluten Stimmen und das höchste in Prozent seit mehr als 60 Jahren, kann nicht einfach nur aus einer Kombination aus Mitleid und Samsung zustande gekommen sein. Dazu ist das IOC zu vielfältig, die Machtblöcke zu differenziert. Das lächerlichste Argument von allen, dass Annecy und München sich gegenseitig Stimmen weggenommen hätten, das direkt nach Ende der Abstimmung genutzt wurde, fiel vor diesem Ergebnis in sich zusammen. Zusammen haben beide europäischen Bewerber nicht nur gerade einmal die Hälfte der Stimmen von Pyeongchang, selbst zusammengenommen fehlen beiden Bewerbern um die 10 Stimmen vom eigenen Kontinent.
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Und auch das Argument von Beckenbauer, dass Europäer absichtlich gegen Europa gestimmt hätten, ändert nichts an der Tatsache, dass selbst wenn die Europäer geschlossen abgestimmt hätten, es noch immer bei weitem nicht gereicht hätte, denn Pyeongchang hat fast alle Stimmen aus Amerika, Afrika und Asien auf sich vereint. Was für eine Einstellung ist es denn bitte europäische Stimmen als wichtiger zu erachten als andere, im Sinne von "Pyeongchang hat ja nur gewonnen, weil sie die ganzen Entwicklungsländer gekauft" haben. Vielleicht kennt Korea einfach noch die Sprache und die Argumente, die nötig sind, um solche Länder auch ganz unabhängig von Geld zu überzeugen?

Und meint Beckenbauer allen Ernstes, dass sich 10-12 Europäer taktisch für Pyeongchang entschieden haben, weil sie auf die nächsten Sommerspiele schielen? Anstatt über Samsung und europäische Krisen zu lamentieren, sollte man sich in Demut üben: Wer weder seinen eigenen Machtblock für sich gewinnt und erst recht nicht die "weniger bedeutenden" Nationen Afrikas, Südamerikas und Südasiens, der hat wirklich nicht das Recht Olympische Winterspiele für die Welt zu fordern. Sich dann aber hinzustellen und meinen für "die Tradition" zu sprechen, der hat jeglichen Bezug zur Realität verloren. Pyeongchang hat seine Versprechen gehalten und den Winterspielen eine neue Vision ergeben - zwei Dinge, die nicht selbstverständlich sind, die aber zentral für den Sport sind. Allein das Dream Program von Pyeongchang für Nachwuchssportler aus benachteiligten Regionen hat den Winterspielen und dem Wintersport bereits jetzt mehr gebracht als alles Lamentieren von einer Rückkehr zu den Wurzeln.
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Um es ganz einfach auszudrücken: Pyeongchang hat zugehört, München wollte gehört werden.
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Deutschland hat bei aller angestrengten Fröhlichkeit und Leichtigkeit eigentlich sein unschönes Gesicht gezeigt, das interessanterweise in letzter Zeit immer wieder aufblitzt, aber doch eigentlich schon verschwunden geglaubt war: Die Angst vor neuen Entwicklungen, die Angst, auch einmal Afrikanern und Asiaten etwas vom Wintersport abzugeben. Wenn man dieses Konzept nicht grundlegend überarbeitet, wird man auch bei einer nächsten Bewerbung wieder scheitern, denn an den Machtverhältnissen wird sich wenig ändern. Was wird dann die Ausrede sein, wenn Samsung aus dem Spiel ist?
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Denn eine Garantie, dass es im zweiten oder dritten Anlauf klappt, hatte auch Pyeongchang nicht. Salzburg kann ein Lied davon singen; es hat sich dreimal umsonst für die Spiele beworben, weil es immer wieder mit der gleichen nicht durchsetzbaren Kampagne gegen die Wand fuhr. Pyeongchang hat nicht aus Mitleid gewonnen, Pyeongchang hat gewonnen, weil es aus Fehlern gelernt hat, die lächerliche Vision von Frieden auf der koreanischen Halbinsel aufgegeben hat und ein logisches Konzept für die Zukunft geboten hat, von dem alle profitieren, nicht nur die großen Wintersportnationen. So einfach und doch offensichtlich so schwer zu verstehen für die Funktionäre in München, heißen sie nun Ude, Beckenbauer, Witt oder Seehofer - sie alle haben sich in den letzten zwei Tagen mit unglaublichen Bemerkungen beschmutzt und alles, was sie zuvor mühsam aufgebaut hatten, wieder eingerissen. Aber anstatt Konsequenzen zu ziehen, badet man jetzt in Selbstmitleid gegenüber der bösen Welt, die vom Geld regiert wird.
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Hoffentlich informieren sich die Herren bald, wie es vor Ort aussieht, damit sie nicht wie schon so viele andere Ausländer am Internationalen Flughafen Incheon stehen und den Mund nicht mehr zubekommen. Wenn man selbst Korea mit seinem Entwicklungsstand und seinen Bemühungen nicht ernst zu nehmen in der Lage ist, wie will man dann wirklich olympisch werden?
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