Ich muss sagen, mein Verhältnis zu Finnland hätte kaum schlechter beginnen können: Als ich auf dem Hinflug nach Deutschland in Vantaa meinen Zwischenstopp hatte, sah ich, dass das Essen im Flughafenrestaurant ab 12 Euro für Chili Con Carne losgeht und als ich mir im Supermarkt die Zeit vertreiben wollte, traf mich fast der Schlag:
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DIE ESSEN BÄREN.
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Bärensuppe, Bärengulasch, was man will. Als jemand, der Hundeessen durchaus argumentativ zu verteidigen weiß, mag eine solche Radikalität vielleicht überraschen, aber bei Bären hört der Spaß auf. Bären sind coolerer (Janscher Supererlativ!) als Nicht-Bären-Tiere. Punkt.
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So, also zurück zum Thema. Der Flughafen Vantaa ist eigentlich eine perfekte Repräsentation Finnlands: Unterkühlt, aber nicht unfreundlich, sauber und durchgestylt, aber irgendwie nicht so richtig heimelig, nichts los, aber auch nicht gar nichts - und vor allem ganz schön teuer.
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Als ich auf dem Rückflüg dann zu meinem 18 Stunden-Stopover in Helsinki eintraf, war es so wie man sich Helsinki vorstellt: -16 Grad, leichter Schneefall, kein Mensch da. Während der Schneefall im Laufe der nächsten 18 Stunden aufhörte, änderte sich an den beiden anderen Beobachtungen eigentlich nicht viel. Sicher, so gar keine Menschen waren es jetzt nicht, aber es waren immerhin so wenige, um Wannsee im Vergleich dazu als lebendigen Hot Spot bezeichnen zu können.
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Mein leicht sarkastischer Ton in dieser Reisebeschreibung könnte implizieren, dass ich Helsinki nicht gut fand und die Reise ein Reinfall war. Nein, nicht unbedingt. Ich gucke mir gerne verschiedene Kulturen und Lebensauffassungen an. Nur ist es für mich sehr selten, dass ich mich mit einem Reiseziel in Europa nicht sofort euphorisch identifiziere. Dänemark? Gemütlich! Italien? Superlässig! Brüssel? Traumhaft! Prag? Wunderschön und sympathisch (der Reisebericht folgt noch), Niederlande? Überraschend anders.
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Helsinki? Kalt. Gut, war vielleicht auch nicht die schlauste Idee im Januar so knapp unter den Nordpolarkreis zu fahren. Wie auch immer, ich war da und die Zeit wollte genutzt werden.
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Dass man morgens um 7 in einer Stadt recht allein sein kann, ist natürlich nicht unbedingt etwas Neues und Verwunderliches, dass sich aber im gesamten Verlauf des Morgens nicht viel an der Menschenleere ändern sollte und es auch nicht mehr wärmer wurde - das war dann doch überraschend.
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Ebenso wie der Umstand, dass die wenigen Stände, die in der vielgepriesenen Markthalle am Hafen schon um 9 Uhr morgens aufhatten, die obligatorischen Dönerhändler waren, die ihre Gammelfleischbrote dort für unverschämte 6 Euro 50 anboten. Dann doch lieber ein belegtes Fischbrötchen für 4 Euro 50 - da sage einer Meereslage mache Fisch preiswert.
Sehenswürdigkeiten hat Helsinki jedenfalls auch ohne die eher unterdimensionierte Markthalle eine ganze Menge, insbesondere dafür, dass es so ein kleines Städtchen ist. Dafür scheint es aber nur vier Baustile zu geben, was durch die Baugeschichte ja auch ganz gut dokumentiert wird. Manche Straßenzüge sind einfach kilometerlang mit den gleichen Häusern zugepflastert. Da fühlt man sich als Seouler gleich wohl. Während dann der Jugendstil noch überzeugen kann und mir ein ums andere Mal entzücktes Stehenbleiben bescherte ist viel vom Neo-Klassizismus eher als in die Kategorie"Versuch" abgerutscht zu bewerten und dem nationalromantischen Kitsch konnte ich als Nicht-Finne und Nicht-Insider auch nicht viel abgewinnen. Habe ja meine Erfahrung mit Ländern, die sich Traditionen erfinden und ich finde die Dangun-Statue vor dem Krispy Kreme in Sillim auch mehr als nur grenzwertig, aber bei Gimli dem Zwerg hörts dann auch irgendwo auf.
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Vielleicht war es meine Überrschung darüber, dass Helsinki sowas wie der komparativistische Notfall ist, dass ich nicht so richtig "bonden" konnte: Ein trinkfreudiges Land, klein und unbedeutend, ja selbst auf dem eigenen Kontinent recht unbekannt, völlig abhängig vom Export seiner technologischen Leuchtturmprodukte und doch konnte ich zwischen den Ländern und Menschen sonst so gar keine Anknüpfungspunkte finden: Abgesehen vom Saufzelt am Hafen und einer Kirche, die es in exakt der gleichen Ausführung auch in Seoul gibt. Aber irgendwie hatte ich erwartet in Helsinki ein Korea in sozial ausgewogen und skandinavisch entspannt zu finden; stattdessen gab es auch hier Zigeunerinnen (ehm, Sinti, Roma und andere fahrende und nicht fahrende Minderheitengruppen aus Südosteuropa), die bettelten, auch hier endlose Sozialsiedlungen und über das Wesen der Einheimischen kann ich mir durch die paar Kontakte in Geschäften halt kein großes Urteil erlauben.
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Denn wo Koreaner vielleicht ruppig sind, sind Finnen gar nicht erst da. Ich weiß nicht, wo sich die vielen hunderttausend Einwohner der Stadt den ganzen Tag versteckt haben, ich habe jedenfalls höchstens ein paar hundert gesehen. Und ich habe die Stadt 4 oder 5 Mal durchquert, weil man egal, wolang man auch läuft, spätestens nach einer halben Stunde immer am Meer ist.
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Wo Koreaner mal unfreundlich sind, sind Finnen viel zu stumm, um unfreundlich zu sein. Immer, wenn man nach dem Weg fragte, hatte ich das Gefühl, die Leute fühlten sich angegriffen oder belästigt. Ist ein komisches Gefühl; ich habe mich noch nie in einer ausländischen Stadt so fremd gefühlt - und ich war schon in Nordkorea. Die Leute waren nicht unfreundlich, aber so beschäftigt desinteressiert - also wenn sie Mal da waren - dass man sich vorkam wie in einer riesigen Kulisse.
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Freilicht-Architekturmuseum beschreibt es also recht treffend. Eine Stadt, die ich einfach nicht durchblicke und das obwohl sie so klein und übersichtlich ist. Aber vielleicht ist das ja ein Eindruck, der viel genauer beschreibt, was man in 18 Stunden erreichen kann als meine euphorischen Jubelstürme über Brüssel und Prag, Städte die ich meinte in wenigen Stunden verstanden zu haben.
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Und da sind Helsinki und Seoul dann plötzlich doch wieder ganz dicht beeinander: Beide haben ganz sicher mehr zu bieten als unter der eintönigen Fassade sichtbar wird und der Stopover-Tourist überhaupt ergründen kann. Die meisen Museen und Galerien habe ich mir gleich geschenkt: Bei Eintritten von teils bis zu 14 Euro muss man Prioritäten setzen und die wären; essen, trinken, Busfahren. Alles keine allzu preiswerten Vergnügen in einer Stadt, in der man in der billigsten Herberge noch 26 Euro für ein Zimmer ohne Bad und Fernseher bezahlt, 9 Euro 90 fürs Frühstück und 12 Euro für eine Pizza.
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Was von Helsinki bleibt, wenn man die unverschämten Preise, die unerträgliche Kälte und ähnliches abzieht, könnte eine interessante, kunst- und designbesessene Hafenstadt zwischen Europa und Russland sein, die im Sommer vielleicht sogar bewohnt ist. Mal schauen, ob ich nicht vielleicht doch noch Mal in Helsinki bin - und selbst wenn es nur ist, um ein Lachspuikula zu essen und anschließend die Fähre nach Tallinn zu nehmen, meinem wahrscheinlich nächsten Reiseziel in meinem Projekt "2 nichtdeutsche europäische Städte pro Jahr".
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Also Helsinki, nimms mir nicht übel, du hast bestimmt mehr zu bieten als ich gesehen habe.
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4 Kommentare:
Schade dass es Dir nicht gefallen hat, die Bilder sind jedenfalls echt schön.
Bitte nochmehr dieser Reiseberichte!
Tja, da hast du eingefangen, in was für einem Kontrast ich lebe. Nicht nur mein Name (Jens-Olaf)^^ - scandianaviophil. Mutter aus Tallinn (Bruderhauptstadt von Helsinki, ähliche Mentaltität). Ich kenn' das kommunizieren ohne zu sprechen allzu gut. Und nun eine deutschkoreanische Familie. Das ist lustig.
Irgendwann muss ich mal was zu den Gemeinsamkeiten schreiben. Finnland, Estland und Korea.
1918 nach langer Fremdherrschaft erlangen die beiden Nordeuropäer die Unabhängigkeit. 1919 scheitert der Aufstand in Korea mit ähnlicher zielsetzung. Korea bleibt ein Teil von Japan.
Finnen und Esten berufen sich auch auf eine der ältesten kontinuierlichen Geschichtswurzeln Europas. Mehrere tausend Jahre siedeln sie an gleicher Stelle. In Korea wird das ähnlich gelehrt. Finnisch und Estnisch haben teilweise ähnliche Grammatikstrukturen, kann Zufall sein. Finnen lieben Karaoke usw..
Die Finnen haben etwas Ähnliches wie das koreanische Han: "Sisu"
Kann fortgesetzt werden.
Hihi, wenn ihr das nächste Mal nach Skandinavien fährt, fahrt doch lieber, wenn bei uns Sommer ist, dann ist es da auch nicht soo kalt. Oder wenigstens im Frühjahr. Wenn der Winter hier schon so hart ist, will ich nicht wissen, wie er da ist!
Aber ansonsten finde ich Helsinki eine coole Stadt, tolle Menschen, gelassene Lebenseinstellung!
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