27.5.10

Krieg oder Frieden?

Ich versuche wirklich immer wieder mir die Argumente der linken Opposition anzuhoeren, diesen Standpunkt zu verstehen. Gerade in Korea gelingt mir dies in Fragen der Wirtschafts- und Bildungspolitik oft ganz gut. Je mehr ich das tue, desto sympathischer werden mir einige Kandidaten der "echten" Linken, z.B. Sim Sang-jeong. Die hat eine linke Position, aber sie kann sie begruenden, verteidigen und die Meinung ist in sich konsistent. Da kann man diskutieren, man ist am Ende immer noch anderer Meinung, hat aber an Respekt voreinander gewonnen. Das ist, worum es in der Demokratie geht. Nicht die Einheit der Meinung, sondern der geordnete Ablauf des Austausches und die Anerkennung der Unterschiede. In der Nordkoreapolitik stosse ich aber regelmaessig auf meine Toleranz-Grenzen.
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Heute fiel es mir sogar den ganzen Tag sehr schwer mich zurueckzuhalten. Der Grund ist wieder einmal die Oppositionskandidatin fuer das Amt des Buergermeisters von Seoul. Ich habe Han Myeong-suk immer gemocht. Wer Gom4President verfolgt, weiss dass ich damals sogar aufgerufen habe, sie bei den Parlamentswahlen zu waehlen und ich ihre Art des Auftretens immer fuer erfrischend anders hielt. Auch als Ministerpraesidentin hat sie das Land gut im In- und Ausland repraesentiert. Doch irgendwas hat sich geaendert, seit sie provoziert wurde. Sie scheint nur noch ideologisch und von Rachegeluesten getrieben, einen Personenkult um Roh Moo-hyun treibend durchs Land zu ziehen.
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Wer aber als Seouler Buergermeisterin aus Wut ueber eine Regierung kandidiert und nicht, um Seouls Buergermeisterin zu werden und dazu noch so schlecht vorbereitet in eine TV-Debatte geht...
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Die Dame weiss weder wie viele Mitarbeiter die Seouler Stadtverwaltung hat, noch wie gross das Sozialbudget Seouls ist - aber erst einmal ausbauen, egal wie hoch. Und selbst beim Ausbauen weiss sie nicht, wieviel fuer was verwendet werden soll. Unglaublich. Die schlechteste TV-Debatte, die ich je gesehen habe. Selbst in Korea. Vielleicht haette sie mal bei ihrem ehemaligen Kabinettskollegen Ryu Si-min nachfragen sollen, wie man in eine TV-Debatte geht. Sie schneidet derzeit am schlechtesten von den drei Kandidaten der Opposition in der Hauptstadtregion ab, obwohl sie eigentlich gute Karten haette (ihr Waehlerpotential liegt am hoechsten) und ihr Wahlkampfbudget ist deutlich hoeher als das des Amtsinhabers. Doch sie hat sich in den letzten Wochen mit ihrer mangelnden Vorbereitung und dem schwachen Auftreten vieles verspielt. Das war nicht die Nordkorea-Welle, Frau Han hat sich vieles selbst zuzuschreiben, auch wenn Oh natuerlich ein beliebter Amtsinhaber und somit schwerer Gegner ist. In der Debatte gefaellt er mir aber uebrigens auch nicht, viel zu schmierig, viel zu arrogant.
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Aber das haette ich hier alles gar nicht gepostet, wenn ich nicht heute morgen wieder einmal eine unschoene Begegnung mit Frau Han gehabt haette. Das Geplaerre aus den Lautsprechern vor einigen Tagen habe ich ja schon erwaehnt. Inzwischen habe ich auch rausgefunden, dass das illegal war. Ein Verstoss gegen die Vorschriften fuer den Wahlkampf. Auf meine Nachfrage bei der Wahlkomission hin wollte der gleich eine Anzeige aufnehmen. So weit wollte ich es dann aber doch nicht treiben, wie gesagt, eigentlich mag ich Han ja und sie war es bestimmt nicht selbst, die den Lautsprecherwagen vor mein Schlafzimmerfenster postiert hat. Aber fuer alle, die sich in den naechsten Tagen noch von jedweden Kandidaten aller Parteien gestoert fuehlen: Lautsprechermusik ist erst ab 7 Uhr morgens erlaubt, Anzeigen kann man bei der Polizei oder der Nationalen Wahlkommission machen. Aber ich schweife ab.
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Also jedenfalls komme ich heute morgen aus dem Haus und sehe die neue Plakatwelle von Frau Han: "Der weise Weg Krieg zu verhindern". Ich kriegs nicht mehr gebacken. Ich blieb einen Moment angewurzelt stehen. Meint sie das ernst? Ist das ein ernsthaftes Plakat? Ich wollte keine voreiligen Schluesse ziehen, doch dann sehe ich heute Sohn Hak-gyu (ebenfalls DP) im Fernsehen wie er sagt (woertlich!): "Diese Wahl ist eine Entscheidung zwischen Krieg und Frieden. Ich bitte alle Buerger, die Frieden wollen, die Opposition zu unterstuetzen."
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Seufz. Einmal abgesehen von der Unerhoertheit der Unterstellung die anderen und die Regierung wollten Krieg (den haette die Regierung laengst haben koennen und ich muss glaub ich nicht noch einmal betonen, dass es fast dazu gekommen waere und wer dafuer verantwortlich ist, dass es keinen gab), zeigt das wieder einmal, dass diese Partei keinerlei einheitliche Linie hat und lieber die Lebensluege ihrer Nordkorea-Politik bis zum bitteren Ende verfolgt.
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1. Bisher wurde das ganze als Saebelrasseln der Regierung fuer die Wahlen kritisiert. Man werde direkt nach den Wahlen wieder an den Verhandlungstisch zurueckkehren. Alles sei nur inszeniert fuer die Wahlen. Was denn nun? Will Lee echten Krieg oder will Lee nur die Krise fuer die Wahlen aufrecht erhalten? Ich bitte die Apologeten aus der Kommentarriege mir hier Klarheit zu verschaffen: Wenn die Nordkorea-Welle nur inszeniert ist, warum sollte man dann die Opposition fuer den Frieden waehlen?
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2 Warum sollte eine konservative Regierung, deren Prioritaet wirtschaftliches Wachstum ist, eigentlich einen Krieg riskieren oder gar einen Zusammenbruch des Nordens? Oder geht etwa - entgegen der Beteuerungen vieler DP-Abgeordneter - die Bedrohung doch vom Norden aus und der Sueden sollte deshalb ueberhaupt keine Strafmassnahmen zu Nordkorea verhaengen, um ihn nicht zu provozieren? Ist also der Schluessel zu Krieg und Frieden eigentlich in Pjoengjang?
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2. Warum aendert dann aber eine Wahl Han Myeong-suks etwas grundlegend? Was ist jetzt genau der Mechanismus hinter der Wahl einer Oppositionskandidatin zur Seouler Buergermeisterin, der den Krieg verhindert? Also doch Appeasement oder wie soll man das verstehen? Und selbst wenn man sich darauf einlaesst: Wie sehr ueberschaetzt sich die DP eigentlich, wenn sie ernsthaft meint, dass ein Sieg der Opposition den Norden besaenftigt und Frieden schafft?
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3. Und was macht die Opposition so sicher, dass ein wie auch immer geartetes Zeichen, zumal in demokratischen Wahlen, die der Norden doch eigentlich nicht so gern hat, den Norden besaenftigt? Die Hoffnung auf eine linke Regierung nach den naechsten Praesidentschaftwahlen?Also dann wieder Sonnenscheinpolitik ab 2012 mit vollen Hilfszahlungen? Die Sonnenscheinpolitik ist aber nicht tot, weil die Regierung Krieg will, sondern weil eine ueberwaeltigende Mehrheit im Volk genug von ihr hatte. Waere dies nicht so, koennte Lee ja gar nicht so handeln wie er es jetzt tut und wuerde es ihm ja auch gar nichts fuer die Wahlen nutzen, wenn das Volk gegen seine Massnahmen waere? Blaest also die sogenannte Nordkorea-Welle vielleicht einfach, nicht weil die Regierung sie aktiv anfeuert, sondern weil die Entwicklungen in der Krise hier einen Nerv der Waehlerschaft getroffen haben, in dem die ueberwaeltigende Mehrheit der Buerger den linken nichts mehr zutraut? Die Waehler wissen naemlich sehr genau, dass die letzten Seegefechte mit Nordkorea in einer Zeit stattfanden als linke Regierungen die Sonnenscheinpolitik und Versoehnung propagiert haben: 1999, 2002 und 2009. Die Cheonan wurde versenkt, weil die Nordkorea-Politik konfrontativ ist, aber die 4 Schiffe, 6 Toten und mindestens 18 Verletzten der Seegefechte unter Sonnenschein-Regierungen sind halt einfach so passiert, aus Versehen? Es ist dieser grosse Widerspruch, der der Linken die hart erarbeitete "Issue Ownership" oder Themenkompetenz in der Nordkorea-Frage so deutlich abgenommen hat.
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4. Und war es nicht ueberhaupt die Opposition, die sagte man solle die Nordkorea-Frage aus dem Wahlkampf lassen, weil es hier um viel mehr ginge als kurzfristige parteipolitische Interessen (richtige Aussage uebrigens)? Warum ist man auf das dementsprechende Angebot der Hannara nicht eingegangen? Weil man Angst hatte, dass die Hannara auch von der Lage profitiert, wenn sie das Thema nicht thematisiert, die DP aber nur gewinnen kann, wenn sie es fuer sich thematisiert?
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5. Am verstoerendsten ist aber die Amateurhaftigkeit, mit der hier Politik von der DP betrieben wird (alle anderen Parteien sind auch nicht besser, aber hier sticht es besonders hervor). Selbst die eher linkslastigen unter den Professoren an unserem Institut schlagen die Haende ueberm Kopf zusammen und warnen: Ueber 60% der Oppositionsanhaenger in der Hauptstadtregion unterstuetzen die Massnahmen der Regierung Lee, immerhin fast 70% glauben an eine Aktion des Nordens. Ja selbt im tiefprogressiven Gwangju glaubt eine Mehrheit an eine nordkoreanische Taeterschaft und liegt die Ablehnung der Regierungs-Massnahmen innerhalb der Fehlertoleranz. Die taktisch einzig richtige Entscheidung fuer die DP waere sich jetzt als staatstragend zu gerieren, Nordkorea klar zu verurteilen, sich aber fuer eine Korrektur in einzelnen Massnahmen und eine Maessigung des Suedens einzusetzen. Letzteres tut man ja , aber ohne Ersteres wird dies nicht als ernsthaft aufgefasst. Vielmehr erweckt man so den Eindruck eigentlich auf der Seite des Nordens zu stehen. Und das kommt im Sueden noch immer nicht gut an.
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Diese Strategie von wegen "Mit Sonnenschein waere Ihnen das nicht passiert" - sie wird nicht verfangen. Es waere an der Zeit das einzige ideologische Gepaeck, das die Linken in dieser konservativen Gesellschaft hatten, die Nordkorea-Politik, ueber Bord zu werfen und sich ein neues Thema zu suchen. Stattdessen begibt sich die DP immer tiefer in eine Sackgasse, aus der es ziemlich schwer wieder rauszukommen ist. Und das bei einer Regierung, die in weiten Teilen insbesondere der Hauptstadtregion wahrlich nicht Freudenstuerme ausloest. Es bewahrheitet sich wieder einmal meine grundlegende Meinung zur koreanischen Politik: Das Problem sind nicht die Konservativen, sondern die schwache Linke. Und das Problem der schwachen Linken ist sie selbst. Und wenn die groesste Oppositionspartei solch haarstraeubende Fehler begeht, ist das auch mir, der zuallererst Demokrat ist, nicht lieb. Noch 6 Tage und der eigentliche Krieg tobt wieder einmal zwischen den Parteien. Unversoehnlicher und schriller als alles, was zwischen den beiden nordkoreanischen Staaten tobt.
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3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Viel Bla Bla und nichts gesagt ...Du kommst als Politiker durch ;-)
Was ich mich immer Frage ist; Warum erwähnst Du nicht die Toten Nordkoreaner die bei etlichen Seegefechten ums Leben gekommen sind?
Zuletzt ja vor paar Monaten,das versenken der "Cheonan" war ja ein Racheakt oder !?
Sorry, aber unter einer Regierung der "DP" waren und wären die Beziehungen zu Nordkorea wohl 100% besser, das kannst auch Du nicht bestreiten!
"2MB" wurde nicht gewählt weil die Menschen genug von der Sonnenscheinpolitik hatten, sondern weil sie so Blauäugig waren seiner ach so tollen Wirtschaftskompetenz zu Vertrauen...
Woher nimmst Du nun wieder die Umfrageergebnisse ?
Bestimmt aus der "Chosun Ilbo" oder ;-)
Warten wir doch einfach mal die Wahlen ab :-)

Unknown hat gesagt…

Sorry ich meinte 2MB wurde gewählt weil....:-)

Gomdori@KU hat gesagt…

Selbst in deiner ach so geliebten Hankyoreh sind sie veroeffentlicht oder kannst du etwa kein Koreanisch und bist auf die schwache englische Ausgabe angewiesen :P

Ich bestreite nicht, dass die allgemeinen Beziehungen besser waeren - die Toten gaebe es trotzdem und die suedkoreanische Staatskasse wuerde das Regime mit hunderten Millionen von Euro dafuer auch noch belohnen :)

Du hast aber meine Fragen, die ich im Artikel gestellt habe, bzgl. logischer Widersprueche innerhalb der Position der Linken noch nicht aufgeloest..noch einmal also die wichtigste Frage:

WARUM nutzt die Nordkorea-Krise der konservativen Partei, wenn doch alle Koreaner Sonnenschein so toll finden und MB an der Verschlechterung der Beziehungen so offensichtlich Schuld ist?

Moechtest du etwa sagen, dass die koreanischen Waehler dumm sind?